SCHNEEWITTE - WENN PAPIER ZU SCHNEE WIRD

Doris Gschwandtner (Figurengestalterin)
Puppen, Menschen & Objekte 2000/1

Zur Premiere (2.4.00) des TheatersSiebenSchuh in der Schaubude Puppentheater Berlin wurden die Zuschauer einmal anders empfangen. Während das Publikum hereinströmt und sich einen Platz sucht, hocken die Spielerinnen auf der Bühne, schneiden und falten Papier, probieren aus und verändern. Es entsteht eine große Tasche, ein edler Umhang. Das Licht geht aus. Die Vorstellung beginnt. "Es war einmal mitten im Winter...“

Eine große Rolle Papier ergänzt das sparsam gehaltene Bühnenbild. Aus ihr entstehen die Schneeflocken, Schneewittes Haarschleife, des Königs Roß. Sie dient im Laufe der Geschichte als Hocker, Startbahn für Schneewittes Flugübungen, hin- und hergerollt als Laufsteg und wird zum Grabstein.

Es ist ein Vergnügen zuzusehen, wenn Anne Swoboda einen langen Streifen Papier knüllt und biegt und ein Pferd entsteht. Sie setzt sich darauf und wird zum König, der mit Kriegführen beschäftigt ist - seine offenbar wichtigste Aufgabe. Nachdem er eine neue Königin gefunden hat, kann er getrost wieder in die Schlacht ziehen: "Adios".

Die Spielerinnen teilen sich die Rolle der Stiefmutter, denn "eine allein kann gar nicht so böse sein“. Symbole für die Königin sind der Mantel und ein übergroßer Ring, beide aus Papier. Der Ring wird später weggelassen, was erst einmal etwas irritiert, dann aber nicht mehr wichtig. Ich empfinde den Umhang als Spiegel ihrer Seele. Die Starrheit des Papiers, die scharfen, exakt gelegten Falten, die kühle Eleganz – dann die allmähliche Zerstörung.

Aus dem papiernen Umhang wird der Dolch geschnitten, mit dem Schneewitte ermordet werden soll. Schneewitte ist eine Gliederbodenpuppe. Ihre Oberfläche besteht aus Papier, das im Bühnenlicht vollkommen weiß erscheint. Die Fußsohlen sind rabenschwarz. Mit ihren langen, geraden Beinen steht sie fest und keck auf der Erde. Nur wenn sie auf der Papierrolle Flugübungen macht, scheint es, als wolle sie über auch gern mal abheben. Sie ist durchaus selbstbewusst und trotzdem kindlich.

Der mordgierigen Stiefmutter gerade entkommen, macht sie sich tapfer auf den Weg ins Ungewisse. Hier wird Schneewitte wieder durch eine Spielerin dargestellt, die mit einem Paravent auf verblüffend einfache Weise die Stationen und Mühen ihrer Reise zu den sieben Bergen zeigt.

Das Haus der Zwerge, welches zuvor noch als Schattenspielschirm für den Weg Schneewittes über das Gebirge, wird aufgeklappt. Die Einrichtung wirkt sauber, fast steril: Ein Tisch, eine Toilette, sieben Betten. Die Hand der Spielerin wird zum Fahrstuhl.

Die Zwerge: Sieben Stück wie die Orgelpfeifen. Es sind witzige Gestalten mit schlackernden Beinen, vollkommen weiß. Einer von ihnen kann fliegen. Zwerg Nr. 3 kommt bei den Kindern gut an. Er pupst und leidet.

Wieder einmal steht die Königin vor dem Spiegel. Schneewittes Bild ist immer noch nicht ausgelöscht. So wird ein Band aus einer Falte des Umhangs gerissen, dann der Kamm geschnitten und endlich der Apfel. Wenn sie verkleidet - durch zusätzliches Umstülpen des Papiers um den Kopf und verändertes An­legen des Umhangs - Schneewitte als Marktfrau gegenübertritt, ist sie tatsächlich nicht mehr wiederzuerkennen.

Das Kind, von den Zwergen inzwischen schon zweimal gerettet und gewarnt, verhält sich keinesfalls furchtsam gegenüber der verwandelten Königin. Sie muß nicht erst überredet werden, den vergifteten Apfel anzunehmen, sie verlangt ihn sogar und verläßt das schützende Haus.

Mit einem Pinsel wird auf den "Grabstein“ Schneewittes Name gemalt. Die Zwerge sitzen obenauf und wachen. Da wird ein Stück Papier über das Haus gezogen und ein Streifen - diesmal kleiner als zu Beginn - zu einem Pferd modelliert. Der Pinsel wird daran befestigt. Es ist nicht irgendein Prinz, sondern der Vater, der Schneewitte sucht und findet. Er reitet kreuz und quer über die weiße, papierne Landschaft und hinterläßt seine Spuren.

Der Schluß: Schneewitte lebt, die Königin tobt, der Umhang wird zerfetzt. „Es war einmal mitten im Winter...“

Die Geschichte ist klar und geradeaus erzählt. Die Veränderungen gegenüber der Grimmschen Fassung gefallen mir. Mit Witz und Charme führen Sabine Kolbe und Anne Swoboda durch das Märchen und verstehen es, den Zuschauer immer wieder zu überraschen. Papier wird zum Bühnenbild oder Requisit, zum Symbol, zu Fleisch und Blut.

Geschickt sind die Bilder miteinander verwoben: so z. B., wenn eine Spielerin zur Erzählerin wird, während die andere die Geschichte mit Papier illustriert, wenn die Rollen getauscht werden oder Schneewitte mal von einer Person, dann mit einer Figur dargestellt wird. "Schneewitte ist eine runde Inszenierung, ideenreich, mit heiteren Figuren und Musik, die das Stück begleitet, ohne es zu erschlagen.

Eine Koproduktion des Theaters „SiebenSchuh" mit der „Schaubude" Berlin und des "Theater des Lachens" Frankfurt/Oder und mit Unterstützung Senatsverwaltung Kultur.

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